Noback vs. Novák. Die Erbauer der Brauereien

Das Phänomen des Übergangs von Handproduktion zu Industrie machte im Verlauf des 19. Jahrhunderts wohl vor keiner Produktionsbranche halt. Im vorliegenden Text wird die Anwendung der neuen Auffassung der Brauereiarchitektur in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts erörtert, welche mit der Entfaltung der Brauerei und der Entstehung industrieller Großbetriebe einherging. Nach der überstürzten Entwicklung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stabilisierte sich die Lage in den 50er Jahren allmählich und es kamen die ersten dauerhaften Konzepte industriellen Bierbrauens auf. An Pioniere wie Völckner und Krabes, die in Böhmen die Gestalt der industriellen Brauerei bestimmt hatten, schlossen ab der ersten Hälfte der 60er Jahre die neuen Technologiebüros von Gustav Noback und Josef Vincenz Novák an. Im Unterschied zu ihren Vorgängern waren diese zwei Ingenieure imstande, ihr Wissen zu einer Zeit zu vermarkten, die Investitionen in ältere sowie ganz neu errichtete Anlagen besonders günstig gestimmt war. Damit nahmen sie ganz wesentlichen Einfluss auf die heutige Gestalt der tschechischen Landschaft, die Panoramen und das bebaute Gebiet Gemeinden.

Um die Maschinenbauer und Projektanten zu begreifen, die die Brauereien versorgten, beginnen wir mit einer allgemeinen Einleitung über die historische Entwicklung, welche zur industriellen Auffassung der Bierbrauerei im 19. Jahrhundert geführt hatte, und stellen im nächsten Kapitel die Maschinenbauer und Technologiebüros vor, die entweder den Ton angaben oder Trends in der Architektur und technologischen Ausstattung der Bierbrauereien verfolgten. Die bedeutendsten in den 1860er und 70er Jahren auf unserem Markt wirkenden Persönlichen werden in der Folge eingehend vorgestellt. Es handelt sich vor allem um Gustav Noback, Richard Jahn und Josef Vincenz Novák, die sich im Bereich des Projektierens von Brauereien und patentierter Technologien geltend machten und gleichzeitig zur besagten Zeit auch eine eigene Maschinenfabrik in Betrieb nahmen. Sie fassten das von uns erörterte Thema komplex auf und ihre verwirklichten Projekte, zusammen mit einigen Projekten ihrer Vorgängerkollegen Völckner und Krabes, ziehen sich somit als roter Faden durch die Synthese der Entwicklung der Brauereiarchitektur und der Grundzüge der in den 1860er und 70er Jahren angewandten Technologien. Im Anhang des Buches findet sich, um das Bild des technologischen Booms jener Zeit zu ergänzen, ein Verzeichnis aller im In- und Ausland verwirklichten Anlagen der Ingenieure Noback und Novák.

Zusammenfassung übersetzt von Tomáš Mařík

 

Milan Starec – Petr Holub, Noback vs. Novák. Die Erbauer der Brauereien, Prag 2019.

256 Seiten; tschechisch/englische und deutsche Zusammenfassung; 205 Abbildungen; ISBN 978-80-01-06027-0 / Autoren Milan Starec, Petr Holub / Rezension Jan Štěpán / Korrekturen Marek Kamlar / Übersetzung Robin Cassling, Tomáš Mařík / Grafik Vlasta Doležalová / Abbildungen, Landkarten, Produktion Jiří Klíma, Jan Forejt, Gabriel Fragner / Druck Formall / Das Forschungszentrum für das Industrielle Erbe 2019

PRO ZRNO: Getreidelagerhäuser und Silos 1898–1989

1898–1921

Neue Technologien der Manipulation, Sortierung, Behandlung und Lagerung von Getreide in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ließen aus dem traditionellen Typ des Bodenspeichers durch Unterteilung mit Bohlenwänden den Kastenspeicher und somit einen ganz neuen Typ, das Getreidesilo entstehen. Diese Bauten ermöglichten die Globalisierung des Getreidemarktes, auf welchem kleine Landwirte in weniger ertragreichen europäischen Ländern nur schwer mit den Importen aus Übersee und Russland mithalten konnten. Durch Selbsthilfe von Landwirtschaftsgenossenschaften errichtete Getreidelagerhäuser waren nicht nur gemeinsam genutzte technische Einrichtungen, sondern boten den Genossenschaftern auch Schutz gegen jährliche Schwankungen der Getreidepreise und waren ein Mittel zu ihrer Emanzipierung gegenüber den Zwischenhändlern. Anfangs kamen sie nicht ohne substanzielle staatliche Hilfe aus, deren System und Bedingungen 1895–1896 vom Königreich Bayern und Preußen und 1898–1900 auch in Österreich-Ungarn bestimmt wurden.

Die ersten Lagerhäuser wurden in den Böhmischen Ländern von deutschen Genossenschaftern in Bilin und Leitmeritz errichtet; Es handelte sich zunächst um eher traditionelle Speicher, ausgestattet jedoch mit Elevatoren und Förderbändern. Das Typenprojekt eines solchen Lagerhauses, das Ferdinand Hrach, Professor an der Deutschen Technischen Hochschule Brünn bereits im Januar 1899 für den Centralverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften Mährens und Schlesiens projektiert hatte, wurde nur einmal verwirklicht, und zwar in Zwittau. Eine typologische Innovation waren die Speicher mit Trichterboden, der ein Entleeren durch freies Gefälle ermöglicht. Typenprojekte einschließlich Maschinenausstattung wurden seit 1900 von Firma Nicolaus Heid im niederösterreichischen Stockerau geliefert. Obwohl es sich um unnötig komplizierte und aufwändige Lagerhaus handelte, wurden dank Preisnachlässen seitens des im Grunde heimischen Lieferanten in Böhmen und Mähren vier Lagerhäuser mit sog. Gossensystem errichtet: Böhmisch Skalitz, Luditz, Brüx und später auch in Pilsen.

Den Ansprüchen und Möglichkeiten einer Lagerhausgenossenschaft am besten angepasste Getreidelagerhaus wurden allerdings erst vom spezialisierten, von einem von der Produktion von Maschineneinrichtung unabhängigen Planungsbüro 1898 in Hannover durch den Maschineningenieur Friedrich Krukenberger und den Architekten Ernst Wullekopf geschaffen. Die Grundprinzipien – ein günstiges Höhenverhältnis des Baus auf quadratischem Grundriss, angepasst an das Verfüllen von Speicherkammern durch freies Gefälle mit Drehrohrverteiler und eine Kombination von Lagerung auf Holzböden und in Silos – wurden in der ganzen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weiterentwickelt. Die nach diesem Typ der Firma Wullekopf & Krukenberg gebauten Lagerhäuser finden wir in Sachsen, Thüringen und im heute polnischen Pommern. In Böhmen und Mähren entstand das erste 1899 in Eger, 1901 folgten weitere in Teplitz, Aussig und Kouřim. Auf originelle Weise wurde es 1902 von Baumeister Karel Kašpar innoviert, der in Zusammenarbeit mit der Maschinenfabrik für Mühlen Josef Prokop und Söhne das (heute leider nicht mehr erhaltene) Lagerhaus einer Genossenschaft in Pardubice entwarf, bei deren Kammern auch Heids Trichterboden zur Anwendung kam und dessen Tragwerk, statisch von den isolierenden Umfangsmauern unabhängig, der Entwicklung um mehrere Jahrzehnte voraus war.

Die technische und organisatorische Basis der Lagerhausgenossenschaften diente während des Ersten Weltkriegs dem verstaatlichten Getreidehandel und entwickelte sich weiter, wie der (unverwirklichte) Entwurf der Vorderfront des Genossenschaftslagerhauses in Telč von Architekt Jan Kotěra oder auch das Gebäude des Lagerhauses in Mirovice nach einem Projekt von Ladislav Ausobský, fertiggestellt von der örtlichen Genossenschaft noch vor der Wiederöffnung des Getreidemarktes im Juni 1921, belegen.

 

1921–1945

Im neuen tschechoslowakischen Staat wurde die Zentralisierung der genossenschaftlichen Dachverbände weiter vorangetrieben, und Anfang der 1920er Jahre entstanden mehrere ausgedehnte Stahlbetonbauten, deren Konzept eher Großhandelslagerhäusern entspricht. Ein solches entwarf Ing. Emanuel Řehák 1920 für den größten Verband, die Zentralvereinigung der landwirtschaftlichen Genossenschaften in Prag. Für den Zentralverband tschechischer landwirtschaftlicher Genossenschaften in Brünn entstand 1925 ein Gebäude von Otakar Vašíček, einem Baubeamten des Landesbauamtes. Der erste größere Neubau dieser Art in der Slowakei gehörte der Landwirtschaftlichen Lagerhausgenossenschaft in Spišská Nová Ves (Zippser Neudorf) und wurde 1930 von der Firma der Ingenieure Hugon Kaboš und Eugen Fischer erbaut und offensichtlich auch entworfen.

Mitte der zwanziger Jahre griff der Landeskulturrat, eine bereits seit 1873 als Landesculturrath für das Königreich Böhmen bestehende Institution, die die Anträge auf staatliche Unterstützung bewertete, in die Entwicklung der Lagerhausarchitektur ein. Er begann den Landwirtschaftsbetrieben Projekte von Neubauten anzubieten, die am Institut für landwirtschaftliche Baukunde der Hochschule für land- und forstwirtschaftliches Ingenieurwesen von Architekt Theodor Petřík und seine Mitarbeiter, wie z.B. Josef Hönich, erstellt wurden. Petříks in Hořice und Tišnov bei Brünn errichtete Getreidelagerhaus nutzten eine Holzkonstruktion und fanden vor allem wegen ihrem kontextuellen äußeren Ausdruck Anklang. Beides hatten sie mit den Lagern gemein, die damals für den Zentralverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften in Mähren von Architekt Alfred Theimer im Geiste der damaligen deutschen Reformarchitektur plante. Die größten von ihnen, in Iglau und Uničov von 1927–1928, zeigen jedoch Bohlendecken, die bereits von einem Stahlbetonrahmen getragen werden, und das wieder in Mode kommende Lamellendach. Petříks Bemühungen um Rationalisierung bei gleichzeitigem Erfüllen architektonischer Ansprüche auf dem Gebiet des landwirtschaftlichen Bauwesens wurden von seinem Schüler und Assistenten, dem Architekten Karel Caivas weitergeführt, der 1927–1931 für die Union landwirtschaftlicher Genossenschaften in Prag tätig war. Seine Lagerhausgebäude, erhalten z.B. in Brandýs nad Labem, Beroun, Straškov, Milevsko, Rokycany, Dolní Roveň, Zlonice oder Pečky, belegen das schrittweise Ersetzen des Holztragwerks durch eine stählerne und dann eine Stahlbetonkonstruktion. Durch die Kombination von Petříks malerisch geformten Dachstühlen mit eigener modernistischer Formensprache der Fassaden definierte Caivas den Ausdruck der kleineren Genossenschaftslagerhäuser in Böhmen für den Rest der Zwischenkriegszeit.

Getreidesilos aus Stahlbeton, die vor dem Ersten Weltkrieg vor allem von Großmühlen errichtet worden waren, begannen Lagerhausgenossenschaften erst dann zu nutzen, nachdem beim langfristigen Lagern von Getreide in ihnen verschiedene Arten der Durchlüftung möglich geworden waren. Die erste in Böhmen und Mähren verbreitete Konstruktion war 1914 von der Münchner Firma der Gebrüder Rank entwickelt worden. Die Silowände bestanden aus Formsteinen, die mit Lüftungskanälen durchzogenen waren. Eine Lizenz für dieses Patent erwarb in der Mitte der zwanziger Jahre der Prager Baumeister Václav Říha, für den Fran Ciaffarin als Projektant arbeitete, ein Landwirtschaftsingenieur slowenischer Abstammung, der diese Konstruktion offensichtlich direkt in München kennengelernt hatte. Bauherr des ersten heimischen Lüftungssilos mit System Rank war 1926 der Musterhof der tschechischen Abteilung des Landwirtschaftsrats in Sobětice bei Klatovy. Die prismatischen Kammern konnten auch als Teil eines Getreidelagerhauses mit Speichern betrieben werden, wie die erste solche 1928 in Měšice erbaute Anlage demonstriert.

Auf dem neuesten Stand der Entwicklung der Lagertechnologie in Europa war erst das (nicht erhaltene) genossenschaftliche Getreidelagerhus in Znaim, das 1927 von der Brünner Filiale der österreichisch-deutschen Baufirma Wayss & Freytag und Meinong nach dem neuen Patent der Brüder Rank von 1923 erbaut wurde. Bei diesem Typ waren auf der Innenwandungen Rippendächer angebracht, unter denen sich durch die Neigung des Lagergutes waagrechte Luftkanäle bildeten. Mit kleinen Veränderungen, allerdings mit einer bedeutenden Vervollkommnung dieses Systems, kam im selben Jahr die Münchner Firma Schulz & Kling und eroberte schnell den Markt. Das erste kleinere Silo nach dem System SUKA in der Tschechoslowakei baute 1929 der Raspenauer Müller Rudolf Wöhl. Ein Paar verbundener größerer Lüftungssilos dieser Bauart verwirklichte ein Jahr später die Lagerhausgenossenschaft in Saaz und im Anschluss auch eine Genossenschaft in Uherské Hradiště.

Die wirtschaftlichen Bedingungen, die zur Entstehung der Lagerhausgenossenschaften geführt hatten, wiederholten sich fast genau nach einem halben Jahrhundert. Während der Weltwirtschaftskrise wurden die Genossenschaften wieder ein Instrument der staatlichen Wirtschaftspolitik, die auch von der größten politischen Partei der Tschechoslowakei, der Agrarpartei (Republikanische Partei des ländlichen und kleinbäuerlichen Volkes) formuliert und durchgesetzt wurde, vor allem durch ihren Landwirtschaftsminister Milan Hodža. Dieser setzte zur Unterstützung der Bauern in den von der Krise am meisten betroffenen Teilen der Republik 1933 zunächst ein Gesetz durch, dass es den Genossenschaften ermöglichte, öffentliche Lagerhäuser zu betreiben und sog. Lagerscheine herauszugeben. In der Slowakei entstand auf dieser Gesetzesgrundlage ein Netz aus Getreidelagerhäusern nach den Typenprojekten des Architekten Miloš Svitavský: es bestand aus sechs Silos nach dem Rank-System, errichtet 1934–1936 in Topoľčany, Galanta, Veľký Meder, Nové Mesto nad Váhom, Michalovce und Trebišov und in der Folge auch als großes kombiniertes Lager in Trnava. In der Karpatenukraine entstanden 1936 aufgrund dieses Gesetzes zwei größere Lagerhäuser mit Getreidesilos aus Stahl, die von den Witkowitzer Eisenwerken entworfen und konstruiert wurden, und zwar in Baťovo und Bergsaß, sowie drei turmförmige kombinierte Stahlbetonlagerhaus in Munkatsch, Ungwar und Wynohradiw nach Plänen von Rudolf Zelenka, eines Ingenieurs des Landwirtschaftlichen Vereins der Tschechoslowakischen Republik, der diesen Typ auch für die Genossenschaft in Humpolec in Böhmen projektierte.

Von grundsätzlicher Bedeutung für den Bau der Lagerhäuser in der Tschechoslowakei war in den 1930er Jahren jedoch die Politik der „gelenkten Wirtschaft“ im agrarischen Bereich, die auf internationaler Ebene vor allem von der Anstalt für landwirtschaftliche Politik der Tschechoslowakischen Akademie der Landwirtschaft unter der Leitung Edvard Reichs bestimmt wurde. Die als „Getreidemonopol“ bekannte Regierungsverordnung von Juli 1934 bestimmte, dass Getreide zu den von der Regierung bestimmten Preisen nur noch die dazu errichtete Tschechoslowakische Getreidegesellschaft AG handeln konnte. Dank Ladislav Feierabend, des Direktors des größten heimischen Genossenschaftsverbandes, wurden zu ihren Aktionären in entsprechendem Verhältnis jene, die Getreidehandel bereits betrieben hatten – neben Mühlen, Handelsorganisationen und Verbrauchergenossenschaften hielten deshalb eben die Lagerhausgnossenschaften einen Anteil von 40 %. Diese waren genötigt, ihre Lagerkapazitäten mindestens zu verdoppeln und so zu vervollkommnen, um ein langfristiges Lagern der strategischen Staatsreserven zu ermöglichen.

Die Union der Wirtschaftsgenossenschaften gründete bereits 1931 ein eigenes Planungsbüro, das vom bisher noch kaum bekannte Bauingenieur Ladislav Platil geführt wurde, der hier erfolgreich die Architektur und Konstruktionsweise von Karel Caivas entfaltete. Das offensichtlich erste Lagerhaus wurde nach seinem Projekt noch im selben Jahr in Mělník erbaut; die am besten erhaltenen Bauten verschiedener Größenordnungen befinden sich in Bechyně, Kasejovice, Kaznějov, Lično oder Blatná und die größte Variante dann in der Slowakei, in Sereď an der Waag (Baujahr 1936). In einer Reihe von Fällen wurden in das Tragwerk hölzerne Belüftungssilos mit Jalousien eingebaut, die Anfang der 30er Jahre von Baumeister Antonín Kopta in Zusammenarbeit mit dem Agronomen František Endler entwickelt worden waren. Zum ersten Mal kam diese Art von Silo 1934 im Lagerhaus in Blížejov zur Anwendung, wo es wahrscheinlich von Karel Caivas projektiert worden war, der Silos des Endkop-Systems durchzusetzen bemüht war. Gleichzeitig versorgte Platils Büro die Mitglieder der Genossenschaftsunion auch mit Projekten großer Lagerhäuser, in denen der Bohlenboden von einer Stahlbetonkonstruktion getragen wurde und deren Bestandteil auch Silos vom System Rank sein konnten. Als erstes wurde ein Gebäude in Tábor realisiert, wo diese Konstruktion – ähnlich wie später in Soběslav oder Příbram – eine effektive Nutzung des unregelmäßigen Grundrisses im Areal des Bahnhofs ermöglichte; zu den größten gehörten dann die Bauten in Louny und Mnichovo Hradiště. Voll typisierte Projekte kleinerer Lagerhäuser, die sich nur durch die Anzahl der Geschosse unterschieden, schuf Platils Büro erst um 1937, wie die Bauten in Jestřabí Lhota, Červené Pečky, Malešov und in Luže erweisen. Neue Typen wurden noch Anfang der 1940er Jahre entwickelt.

Die in der Typisierung der Lagerhausgebäude am weitesten fortgeschrittene Mährische Union der Wirtschaftsgenossenschaften in Brünn arbeitete mit dem Brünner Planungsbüro des Architekten Eduard Žáček zusammen. Er gilt als Begründer des Konzepts einer Serie großer Speicherlagerhäuser, die 1935 in Velké Meziříčí, Prostějov und Hranice sowie im darauffolgenden Jahr in Uherský Brod, Kyjov oder Konice entstanden, vor allem war er aber der Autor des Typenprojekts eines Stahlbetonlagerhauses mit Bohlenbodenspeichern mit einem Fassungsvermögen von 700 Tonnen, das z.B. von den Genossenschaften in Dačice, Nesovice, Uničov, Telč, Bransouze, Náměšť na Hané oder in Rosice umgesetzt wurde. Atypische Lösungen waren z.B. das zehngeschossige Lagerhaus in Moravské Budějovice, wo kein ausreichend großes Grundstück zur Verfügung stand, oder das Lagerhausgebäude in Holešov, das eine genietete Stahlkonstruktion zeigt.

Die zahlenmäßig kleinen Lagerhausgenossenschaften katholischer Landwirte, die mit der Tschechoslowakischen Volkspartei in Verbindung standen, begannen nach Einführung des Monopols, den Landwirtschaftsgenossenschaften hart zu konkurrieren, und bald standen in vielen Gemeinden zwei Genossenschaftslager, oft in Sichtweite: ein republikanisches und ein volksparteiliches. Für die mährischen Genossenschaften (genannt Zádruha) wurden sie von der Prostějover Firma Gustav Bittners und Antonín Pavlovskýs projektiert. So baute man 1936–1938 Speichergebäude mit Bohlendecken auf Stahlsäulen in Prostějov, Kojetín, Brodek u Prostějova oder in Příbor. Die volksparteilichen Genossenschaften in Böhmen nutzten 1937 das Typenprojekt eines Lagerhauses mit Stahlbetonskelett und Bohlenböden, das von Ing. Fran Ciaffarin entwickelt worden war. Erhalten sind Beispielen in Chotěboř, Čáslav und Bechyně, 2018 wurde das Lagerhaus in der Schlesischen Vorstadt von Königgrätz abgerissen, das einzige dieser Typenreihe, das mit den von Ciaffarin in der Tschechoslowakei eingeführten Rank-Silos ausgestattet war.

Der Zentralverband deutscher Landwirtschaftsgenossenschaften in Mähren und Schlesien setzte als Aktionär der Tschechoslowakischen Getreidegesellschaft die Zusammenarbeit mit Architekt Alfred Theimer fort, welcher für sie eine Reihe typisierter Lagerhäuser schuf. Es handelte sich um gemauerte Gebäude mit hölzerner Innenkonstruktion und hohen Dachstühlen, in die ein oberes Stockwerk mit Silos eingelegt war. Eine zweigeschossige Variante ist bis heute in Potštát und Šlapanov in der Region Hochland erhalten. Zwei Gebäude, die nach der dreigeschossigen Version des Projekts ausgeführt wurden, stehen in ursprünglicher Gestalt im Znaimer Land in Šumná und in Božice. Das am vollständigsten erhaltene und gleichzeitig auch letzte Gebäude dieser Serie ist das sich horizontal entfaltende Lagerhaus von 1939–1940 in Hanušovice. Für den Verband arbeitete Alfred Theimer offensichtlich auch Projekte von Getreidesilos nach dem SUKA-System um, die 1935–1938 Otto Friedrich Theimer, sein Bruder und Teilhaber in der Baufirma, projektierte, welcher in der Folge als Oberingenieur direkt im Münchner Büro von Schulz & Kling antrat und später zu einem weltweit anerkannten Fachmann für diese Bauten wurde. Das erste dieser Silos wurde von der deutschen Genossenschaft in Pohořelice erbaut. Es wurde zwar 2010 abgerissen, erhalten ist jedoch das gleichzeitig entworfene und nur kurz später fertiggestellte Silo in Moravská Třebová, das, genauso wie bei den Silos in Uničov und in Opava, Theimers älteres Gebäude eines Speicherlagerhaus ergänzte. Dort, wo die Genossenschaften über keine eigenen Lagerhäuser oder ausreichenden Grundstücke verfügten, setzte der Zentralverband die Errichtung turmförmiger Stahlbetonbauten mit belüfteten Silos durch, jedoch auch solchen mit Speicherböden, wie z.B. in Fulnek oder Maršíkov.

Das Protektorat Böhmen und Mähren wurde 1939 in die gebundene Wirtschaft des Deutschen Reiches eingegliedert, die auf die Effektivierung der Landwirtschaftsproduktion aus war, um Lebensmittelunabhängigkeit im geplanten Krieg zu erlangen. Dazu gehörte seit 1938 eine großzügige staatliche Unterstützung des Baus von Getreidespeichern, die durch die Verwendung von Typenprojekten bedingt war, welche das Reichsamt für Wirtschaftsausbau ausgearbeitet hatte. Die zwei größten Typen, deren Bodenteil mit flachen Decken auf Pilzsäulen getragen war, hatten einen länglichen Maschinentrakt mit einem System von Achteck-, Viereck- und Dreiecksilos und wurden als Reichsspeicher bezeichnet. Auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik sind noch zwei von den ursprünglich drei Lagern mit einer Kapazität von 5 000 Tonnen erhalten, welche 1939–1940 von der Obersten Bauleitung der Reichsautobahnen Nürnberg nach einem Projekt errichtet wurden, an dem offensichtlich vor allem Architekt Paul Bonatz beteiligt war: Vojtanov und in Nové Sedlo bei der Eisenbahnstation Žabokliky, ein dritter identischer Bau befindet sich im oberpfälzischen Schwandorf. Die Großhandelsgesellschaft H. W. Lange & Co. erbaute gleichzeitig in Lovosice ein Lagerhaus des größten Typs für 10 000 Tonnen, an dem auch Architekt Emil Fahrenkamp gearbeitet hatte, dessen Außenfassade jedoch so gestaltet war, dass sie den baulichen Gewohnheiten Hamburgs, der Stadt des Firmensitzes, entsprach, d.h. sie war mit Klinkersteinen verkleidet. Ein identisches Lagerhaus baute die Firma auf dem Ufer des Oder-Spree-Kanals im brandenburgischen Eisenhüttenstadt.

 

1945–1989

Auch wenn bereits 1945 ein Ministerium der Ernährung für die zentrale Leitung aller landwirtschaftlichen Aufkäufe und des Vertriebs in der Tschechoslowakei eingerichtet wurde, waren bis 1948 ohne Veränderungen in gleicher Weise große Kaufverbände und Syndikate wie kleine Lagerhausgenossenschaften tätig. Bis zum Ende der vierziger Jahre entstanden nur wenige neue Getreidelagerhäuser; das architektonisch interessanteste entwarf Jan Tymich für Jevíčko und Bohuslav Fuchs für Židlochovice.

Nach der kommunistischen Machtergreifung im Februar 1948 wurde der ganze Landwirtschaftssektor – von Genossenschaften und größeren Betrieben bis zum Eigentum der Kleinbauern – verstaatlicht. Der Staat zentralisierte das ganze System des Aufkaufs auch durch die Errichtung von Koordinationsplattformen, wie der Zentrale für das Wirtschaften mit Landwirtschaftserzeugnissen (1948–1951), der Hauptverwaltung der Aufkäufe (1951–1958), Vereinigung der Aufkaufbetriebe (1958–1962), der Zentralen Verwaltung der Aufkäufe von Landwirtschaftsprodukten (1962–1967) und der Landwirtschaftsversorgung und Aufkauf (1962–1989). Parallel verlief auch die Verstaatlichung und Transformation des ganzen Bauwesens und der architektonischen Planung. Für die Errichtung von Getreidelagerhäuser wurde ein spezialisiertes Planungsbüro eingerichtet (Planungsbüro des Zentralen Genossenschaftsrats, Potravinoprojekt, Projektabteilung des Verbandes von Aufkaufbetrieben, Projektabteilung der Zentralen Verwaltung des Aufkaufs von Landwirtschaftsprodukten) sowie Baufirmen (Průmstav Pardubice, Stavoindustria Bratislava und andere).

Die ersten Großlager der Nachkriegszeit, die den Bodenspeicher mit Tiefsilos kombinierten, wurden 1948–1953 vom Planungsbüro des Zentralrats der Genossenschaften entworfen. Die Lagerhäuser in České Budějovice, Hrochův Týnec, Pardubice, Přerov, Batelov, Kojetice oder Rakšice können als wichtige Vorstufe der ersten Typenlager erachtet werden.

Das Planungsbüro des Zentralrats der Genossenschaften wurde 1953 zur Grundlage eines neuen staatlichen Planungsinstituts für Bauprojekte in der Lebensmittelindustrie (Potravinoprojekt). Hier wurden auch Abteilungen eingerichtet, die sich ausschließlich Getreidesilos widmeten – wie Zentrum 12 in Prag unter der Leitung von Architekt Vojtěch Florian und Zentrum 21 in Pardubice, dessen Hauptgestalten die Architekten Jaroslav Dědič, František Cabicar und Ingenieur Alfréd Geřábek waren.

Moderne Lagerhäuser und Silos sollten in der zentralisiert geleiteten Wirtschaft nur noch typisiert sein. Der am meisten verbreitete Typ in den 50re Jahren waren Lagerhaus mit einer Kapazität von 3 600 Tonnen, deren Projekt 1952 von Jaroslav Dědič und František Cabicar fertiggestellt wurde. Bis 1959 wurde er an siebzehn Stellen in der Tschechoslowakei realisiert. Dědič und Cabicar sind auch die Autoren des Typenlagerhauses für 6 000 Tonnen Getreide, das auch hier sowohl auf den Böden als auch in Tiefsilos verwahrt wird. Das Schema wurde insgesamt siebenmal wiederholt, am besten erhalten, einschließlich der ursprünglichen Einrichtung, ist das Lagerhaus in Ronov nad Doubravou, eine verlängerte Variante findet sich im slowakischen Senice. Inzwischen bereitete das Team von Vojtěch Florian zwei Typen von Großsilos für 15 600 Tonnen vor, die jedoch nie gebaut wurden, und eines für 10 500 Tonnen, dessen Vertreter in Vrbno nad Lesy steht.

In den nächsten fünfzig Jahren entstand eine Reihe von Typenprojekten, die verschiedene Betriebskonzepte und Konstruktionen testeten. Alfréd Geřábek entwarf 1957 ein montiertes Stahlbetonsilo, das einfach an ältere Lagerhäuser angeschlossen werden konnte. Ein Prototyp entstand drei Jahre später in Poběžovice. Wirtschaftliche Gesichtspunkte verfolgte auch das Silo mit freiem Gefälle, das 1958 im Pardubitzer Potravinoprojekt von den Architekten Josef Doležal und Jan Cupal projektiert wurde. Charakteristisches Merkmal waren die zum ersten Mal verwendeten und zugegebenen runden Silozellen. Silos mit einer Kapazität von 4 650 Tonnen entstanden in Jičín, Kouřim, Hodonice und Stod, eine größere Variante dann in Česká Skalice, Kostelec nad Orlicí und in Toužim. Neben mehrstöckigen Lagerhäusern wurden auch die Möglichkeiten langfristigen Lagerns von Getreide in typisierten bodennahen Hangars in Betracht gezogen. Die ersten Projekte entstanden im Planungsbüro des Zentralrats der Genossenschaften, gebaut wurden aber erst montierte Hallen mit Trakten aus Stahlbetonpräfabrikaten, die auch zu viert zu sog. Basen zusammengestellt werden konnten. Diese finden wir z.B. in Křinec, Protivín oder im slowakischen Šamorín.

In der Slowakei der fünfziger Jahre entstand eine Reihe bemerkenswerter Lagerhäuser, von denen einige auch wiederholt gebaut werden konnten. Das größte, mit einer Kapazität von 12 000 Tonnen, entwarfen 1954 im Prager Potravinoprojekt Ladislav Kučera, Jaroslav Musil, Miloš Kožíšek und Bohuslav Dvořák und es wurde in Michalovce, Pohronský Ruskov und mit Modifikationen in der Architektur in Vráble verwirklicht. Interessante Lager finden wir ferner in Námestovo und Parchovany (3 000 Tonnen), Zlatovce, Lipany und Čečejovce (4 550 Tonnen), zum landwirtschaftlichen Charakter der slowakischen Landschaft passten auch kleine Typenspeicher mit Kapazitäten von 25, 50 und 100 Wagons Getreide.

Trotz aller Bemühungen war es nicht gelungen, die notwendigen modernen Lagerkapazitäten in einem solchen Umfang und mit einer solchen Geschwindigkeit auszuweiten, wie es sich die Zentralplaner vorstellten. Der Ausbau wurde vor allem durch die langsamen Bauarbeiten gebremst, die sich über mehrere Jahre hinzogen und auch durch wiederholte legislative Veränderungen im ganzen Planungs-Bau-Apparat, die normativ die gegenseitigen Verhältnisse zwischen Investor, Projektant und Lieferant bestimmten. Dadurch wurde ein Silo mit der Kapazität von 21 000 Tonnen zum am weitesten verbreiteten Typ, der an über 89 Stellen in der Tschechoslowakei gebaut wurde. Das Projekt wurde 1958 unter der Leitung von Vojtěch Florian in einem Team der technischen Abteilung der Vereinigung der Ankaufsbetriebe von Ladislav Procházka, Ladislav Kučera und dem Statiker Josef Vostřel erstellt, Autor der architektonischen Gestaltung war Bohuslav Dvořák. Der Bau ist ein monolithischer Korpus aus Stahlbeton mit 25 sechseckigen, aneinander anschließenden Zellen, der Betrieb ist voll automatisiert und wird vom Leitstand aus ferngesteuert. Das erste Silo dieses Typs wurde 1961 in Pardubice fertiggestellt. In den folgenden Jahren gab es eine ganze Reihe von Modifikationen sowohl baulich als auch bezüglich Fassungsvermögen. So entstanden Silos für 3 600 Tonnen in Vlašim und Šenov bei Nový Jičín, für 12 000 Tonnen (Martin), 22 700 Tonnen (Trutnov) und vor allem für 23 000 Tonnen an über zwanzig verschiedenen Stellen der Tschechoslowakei. In den sechziger Jahren wurden auch zwei Typen von Rundsilos eingeführt – mit einer Kapazität von 17 000 Tonnen (1959, Pavel Fabián, Potravinoprojekt Bratislava), die nur in der Slowakei gebaut wurden, und Silos für 19 200 Tonnen Getreide (1962, Planung der Zentralen Verwaltung des Aufkaufs von Landwirtschaftsprodukten).

Ab den siebziger Jahren wurde begonnen, Stahlbeton durch Stahl zu ersetzen. Neben den weit verbreiteten kleinen Lagerhäusern vom Typ Štolfa ermöglichten vor allem drei Typen von Stahlsilos, die fehlenden Kapazitäten zu ergänzen. Diese sind ein Produkt der Planungsabteilung des Staatsbetriebs Fabriken für Mühlenmaschinen in Pardubice. Das erste Silo für 20 000 Tonnen wurde in Libáň fertiggestellt, eine verbreitete Variante bilden dann Lager für 50 000 Tonnen. Aus dem TMS-Atelier setzten sich Ende der siebziger Jahre noch kleine variable Silos mit der Bezeichnung ZOOS durch.

Um die Architektur und Konstruktionsprozesse im internationalen Zusammenhang zu vergleichen, wurden Projekte aufgrund der Verträge des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) oder unter politisch protegierter Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Staaten verwirklicht. So entstand der Bau eines Lagers für 50 000 Tonnen in Kněžmost, wo die gesamte Planung und die Bauarbeiten vom Warschauer Betrieb Budimex übernommen wurden. Ein weiteres polnisches Planungsbüro, Cukroprojekt Warszawa, entwarf ein Silo für 66 000 Tonnen in Milín. Zwei Rundsilos mit 38 000 Tonnen Volumen in Mimoň und Polepy plante der Betrieb Industrieprojektierung aus Dessau.

Ausländische Bauvorhaben haben auch den Charakter der letzten Phase unserer Getreidelager vorbestimmt. Die Planungsabteilung ZZN hatte sich seit Anfang der siebziger Jahre auf sog. Mammutsilos orientiert, die das immer noch unzureichende Lagervolumen ausgleichen sollten. 1977–1982 wurde in Šakvice ein Lager für 92 000 Tonnen errichtet, das höchste, das in der Tschechoslowakei je verwirklicht worden ist. Kleinere Varianten für 69 000 Tonnen stehen in Zdislavice und Blovice, die kleinsten dann in Olomouc und Ivančice. Das Blovicer Gebäude wurde 1990 fertiggestellt und ist somit das letzte klassische Stahlbetonsilo auf tschechoslowakischem Gebiet.

Zusammenfassung übersetzt von Tomáš Mařík

 

Lukáš Beran – Jan Zikmund, PRO ZRNO: Getreidelagerhäuser und Silos 1898–1989, Prag 2018.

192 Seiten; tschechisch/englische und deutsche Zusammenfassung; 176 Abbildungen; ISBN 978-80-01-06026-3 / Autoren Lukáš Beran, Jan Zikmund / Mitautoren Benjamin Fragner, Naďa Johanisová, Tereza Bartošíková, Jakub Potůček, Magdalena Tayerlová, Lukáš Tofan / Rezension Rostislav Švácha / Korrekturen Irena Hlinková / Übersetzung Robin Cassling, Tomáš Mařík / Ortsregister Irena Lehkoživová / Grafik Jan Forejt (Formall) / Abbildungen Jiří Klíma (Formall) / Produktion Gabriel Fragner (Formall) / Schrift Notable und Stabil Grotesk / Papier Arcoprint Milk White und Woodstock Betulla / Druck Helbich Druckerei / Das Forschungszentrum für das Industrielle Erbe 2018

 

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Die Milchfabrik – eine Aufgabe für den Architekten: Rudolf Holý

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Industrie-Architektur der Tschechoslowakei innerhalb einiger weniger Jahre grundlegend verändert. Die Verstaatlichung der Betriebe und eine neuartige Auftragsvergabepraxis sowie das zusammengelegte Bau- und Projektierungswesen waren allerdings nicht die einzigen Schwierigkeiten mit denen die Architekten in dieser Zeit zurechtkommen mussten. Vor allem machte ihnen das mit der politischen Richtung des Regimes eng verbundene, starre System der sozialistischen Planwirtschaft zu schaffen, das die Vorbereitung von Investitionen, die Projektierung und häufig auch die eigentlichen Bauarbeiten erschwerte. Eine der Prioritäten für die Tschechoslowakei der Nachkriegszeit war der Umbau der Industrie. Dieser Prozess wurde zum Grundstein für die neu konzipierte Wirtschaft, wie es im Zweijahresplan (1947–1948) angedeutet und dann im ersten Fünfjahrplan (1949–1953) weiter entwickelt wurde. Auf diesen Industriebauboom in einem heute kaum vorstellbaren Ausmaß war der vereinheitlichte Projektierungsapparat allerdings nicht eingestellt. Daher war es notwendig, sofort die dafür nötige, spezialisierte Ausbildung an den Architekturfakultäten der jeweiligen Hochschulen abzusichern und eigenständige Institutionen für die Projektierung von Industriebauten als ein professionelles Umfeld für die komplexe Projektvorbereitung der einzelnen Fachgebiete zu gründen. Eine entscheidende Rolle spielte dabei eine Theorieplattform, die von Otakar Štěpánek, Emil Hlaváček, Jiří Girsa, Emil Kovařík, Eduard Teschler, Miloš Vaněček, Jiří Vančura sowie Emanuel Podráský gebildet wurde. Diese Spezialisten definierten die Anforderungen an eine moderne Fabrik und gaben den Architekten innerhalb kurzer Zeit eine ganze Reihe von Fachbüchern und Studien zur Hand.

Die Jahre der organisatorischen Veränderungen und eine Atmosphäre des ständigen Suchens nach optimalen Möglichkeiten, Überarbeitungen und der Rückkehr schlugen sich nicht nur in der praktischen Arbeit sondern auch in der eigentlichen Architektur nieder. Lange Zeit konnte sich hier noch die starke funktionalistische Tradition der Zwischenkriegszeit halten, vor allem dank solcher Persönlichkeiten wie František Albert Libra, Oskar Oehler/Olár und die Architekten der nach der Stadt Zlín benannten Schule um Jiří Voženílek, Vladimír Kubečka, Zdeněk Plesník und Miroslav Drofa. Die Bemühungen um eine individuelle Herangehensweise an industrielle Architektur konnten jedoch unter diesen Umständen nicht von langer Dauer sein. Mehr noch als die Tendenzen des sozialistischen Realismus sowjetischen Typus, der sich in der Industriearchitektur fast nicht zeigte, waren es die Zwänge der Wirtschaftlichkeit, die markantere architektonische Entwürfe für einen gewissen Zeitraum in den Hintergrund rückten. Das Hauptthema der theoretischen Debatten wurde im Falle der Industriebauten die Typisierung. Deren Einführung in die bauliche Praxis ging jedoch nicht so vonstatten wie sich das die Theoretiker vorgestellt hatten. Dennoch gelang dank dieser Überlegungen, parallel zur globalen Entwicklung, eine Charakterisierung der grundlegenden Parameter eines Industriebetriebes (Universalität, Methode der Einteilung in Zonen und Sektionen, Monoblocks, fensterlose Gebäude, freistehende Apparaturen) auch unter den Bedingungen eines eher unflexiblen Bauwesens in der Tschechoslowakei.

Von Beginn an stand hinter diesen Veränderungen auch der Architekt Rudolf Holý (1930–2015), dem dieses Buch gewidmet ist. Holý studierte Architektur und Hochbauwesen an der Technischen Hochschule in Prag (Vysoká škola architektury a pozemního stavitelství, České vysoké učení technické), an der er Ateliers von František Čermák, Spezialist für Gesundheitsbauten, und des schon erwähnten Otakar Štěpánek absolvierte. Auch wenn Rudolf Holý sich eigentlich nach dem Studium Gesundheitsbauten widmen wollte, verband sich seine Karriere mit dem Industriebau. Nach drei Jahren, die er in der Projektierung für die Bergbauindustrie (Hutní projekt) verbrachte, wechselte er in den Betrieb Potravinoprojekt, ein Projektierungsbetrieb, der die Vorbereitung von Fabriken für die Lebensmittelindustrie absicherte – Zuckerwerke, Brauereien, Mälzereien, Brennereien, Konservenfabriken, Milchwerke, Fleischkombinate, Gefrieranlagen, Mühlen, Lager für Getreide und andere Lebensmittel. Innerhalb von wenigen Jahren wurde Rudolf Holý zu einem der besten Spezialisten für Industriearchitektur. Er konzentrierte sich vor allem auf moderne, Milch verarbeitende Betriebe – Großbetriebe mit ausgeklügelten Technologien, die auf der Grundlage der neuesten Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre konzipiert waren. Obwohl Holý ebenso wie andere Architekten mit solchen Unzulänglichkeiten wie der Lieferbarkeit von Materialien und komplizierten Absprachen mit den Investoren zu kämpfen hatte, gelang es ihm auch unter diesen Bedingungen seine architektonischen Idee zu verteidigen und an den hohen Standard der Milchwerke anzuknüpfen, die in den zwanziger und insbesondere in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts bis zum Bauverbot in der Protektoratszeit errichtet wurden.

Die Entwicklung ebendieser Baukultur bringt uns das einleitende Kapitel „Der Weg zum industriellen Milchbetrieb“ näher. Eingehend verfolgt es den immer größeren Anteil von Architekten an der Planung von Milch verarbeitenden Betrieben, für die die Maschinenausstattung von größerer Bedeutung war als die Gestaltung des Gebäudes. Eine grundlegende Rolle in diesem Zusammenhang spielte der Verband der Milchgenossenschaften (Svaz mlékařských družstev), der neben organisatorischen und betrieblichen Angelegenheiten auch die Projektierungen und den Bau neuer Milchwerke überwachte. Dank der Aktivitäten dieses Verbandes wurden Milchfabriken mit bereits nicht zu übersehenden architektonischen Ambitionen nach Projekten von hervorragenden Architekten, wie Josef Danda, Eduard Žáček, Josef Franců, Karl Ernstberger, Josef Lipš und weitere, gebaut. Es waren eben die Möglichkeiten des Funktionalismus, die auch Gebäude der Milch verarbeitenden Industrie mit einem künstlerischen Wert ausstatteten und
auch am Beginn der Nachkriegskonzeption der Großbetriebe stand.

Die erwähnten Texte von Jan Zikmund und Jakub Potůček ergänzt ein Artikel von Rudolf Holý „Zeitgenössische Tendenzen im Bau von Milchwerken“, der konkrete Probleme aufzeigt, die bei der Planung von Milchfabriken in jener Zeit von Architekten zu lösen waren. Das Gespräch mit Jiří Horský und die persönlichen Erinnerungen des Architekten Tomáš Šenberger bringen uns am Ende des Buches das Leben von Rudolf Holý nahe.

Wie in seinen einleitenden Bemerkungen Benjamin Fragner schreibt, öffnet die Publikation gleichzeitig das bisher wenig wahrgenommene Thema der Nachkriegsarchitektur im Rahmen des Projektes NAKI II Industriearchitektur – Das Industriedenkmal als technisch-architektonisches Werk und als Identität eines Ortes (Industriální architektura. Památka průmyslového dědictví jako technicko-architektonické dílo a jako identita místa). Die Forschung zu diesem Thema gipfelt in einer großen Monografie, die sich der Entwicklung der industriellen Nachkriegsarchitektur in einer komplexen Betrachtung von 1945 bis zur Schließung des Staatlichen Projektierungsbetriebes am Beginn der neunziger Jahre widmet.

Zusammenfassung übersetzt von Susanne Spurná

 

Jakub Potůček – Jan Zikmund et al., Die Milchfabrik – eine Aufgabe für den Architekten: Rudolf Holý, Prag 2016.

144 Seiten; tschechisch/englische und deutsche Zusammenfassung; 82 Abbildungen; ISBN 978-80-01-06041-4 / Autoren Jakub Potůček, Jan Zikmund / Mitautoren Benjamin Fragner, Jiří Horský, Tomáš Šenberger / Rezension Petr Kratochvíl, Petr Urlich / Korrekturen Hana Hlušičková / Übersetzung Robin Cassling, Susanne Spurná / Grafik Jan Forejt / Abbildungen Jiří Klíma / Produktion Gabriel Fragner / Schrift Pepi und Rudi / Papier Munken Lynx / Druck Formall / Das Forschungszentrum für das Industrielle Erbe 2016

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Industrial Topography / The Architecture of Conversion Czech Republic 2005–2015

Austellung 23. 3. – 10. 4. 2017 | OTH Regensburg | Fakultät Architektur | Halle A

23. 3. 2017 | 18.00 Uhr Einführung prof. Pavel Zvěřina | Vortrag Petr Vorlík

Katalog

 

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Bruno Bauer und Industriearchitektur in den böhmischen Ländern

Die Planung und Projektierung von Fabriken in den böhmischen Ländern war Teil der weltumspannenden Entwicklung ökonomischer und technischer Erkenntnisse und Erfahrungen. Spezialisierte Projektierungsbüros waren richtungsweisend und in der Lage, ein funktionierendes Betriebsschema, die dementsprechende Raumaufteilung und eine Konstruktion, die diese auf ökonomische Weise umsetzt, zu entwerfen und gleichzeitig auch den Ansprüchen an das Äußere des Werkes gerecht zu werden. Eine Schlüsselrolle spielt bei dieser Entwicklung die Textilindustrie, deren Ansprüche an Raumgröße und Aufteilung sowie an die Sicherheit, die ersten Bauten entstehen ließ, die man in dieser Hinsicht modern nennen kann.

Direkte Kontakte zur entwickelten britischen Projektierungspraxis von Baumwollspinnereien sind für den mitteleuropäischen Raum bisher nur wenig dokumentiert. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts brachte diese vor allem das Schweizer Büro von Carl Arnold Séquin-Bronner (später Séquin & Knobel) hierher, später wirkte in den böhmischen Ländern allerdings auch das Leipziger Büro Händel & Franke. Bereits seit 1877 gab es auch einheimische Konkurrenz: das Büro des Baumeisters František Plesnivý in Náchod und später in Hradec Králové. Sein erstes Technisches Bureau für Brauereien gründete 1863 Gustav Noback in Prag und zwei Jahre später auch Josef Vincenc Novák. Kurz darauf begannen sie bereits, außer Projektierung und Kostenvoranschlag, auch die Maschinenausstattung aus dem eigenen Maschinenbaubetrieb anzubieten. Zuckerwerke wurden damals gemeinsam vom Maschinenbauer Čeňek Daňek und der Baugesellschaft Václav Nekvasil projektiert und ausgestattet. Der erste einheimische Baumeister, der auf der Grundlage eigener Projekte ausschließlich Industriebauten ausführte, war anscheinend Josef Rosenberg (seit 1873) aus Iglau, insbesondere spezialisiert auf gekühlte Wirtschaftsgebäude für Brauereien. Einen umfassenden Erfolg in diesem Fach erzielte vor allem die 1887 in Prag gegründete Bau- und Projektierungsfirma Viktor Beneš. Anfang des Jahrhunderts wurde die Projektierung dann weitestgehend von Baufirmen übernommen, die sich auf Stahlbeton spezialisierten. Die Projektierungsabteilung der Wiener „concessionaire Hennebique“ von Eduard Ast wurde von seinem Schwager Hugo Gröger geführt. Dieser publizierte eine Serie von Industriebauten, wobei deren Stahlbetonskelett seit mindestens 1902 an der Fassade sichtbar war. Etwas später begannen eine weitere Wiener Firma, Pittel & Brausewetter, und auch die Brünner Firma B. Fischmann & Co. mit der Projektierung und Bauausführung. Ein großer Teil der hiesigen Fabriken ging jedoch aus der Zusammenarbeit von Ingenieuren aus Baufirmen (Skorkovský, Müller & Kapsa) mit Maschinenbauingenieuren für die Bereitstellung der Ausstattung, mit auf den Betriebsablauf spezialisierten Fachleute-Auftraggebern und unter Umständen auch mit Architekten hervor. Die erste Generation von Architekten, die sich an der Planung von Industrie-Bauten wiederholt beteiligte, studierte an der Technischen Hochschule in Wien bei Karl König – Praxis und Lehrtätigkeit betreffend, gehörten Leopold Simony und Heinrich Fanta zu den Erfolgreichsten. Danach bekannten sich auch die Schüler von Wagner an der Akadamie 1908 zu diesem Thema, von denen jedoch nur Hubert Gessner mit seinem Bruder Franz und vor allem Bohumil Hypšman zu einer wirklich komplexen Entwurfsarbeit von Industriebauten kamen. In den Böhmischen Ländern waren zugleich Dependancen tätig, die eine komplette Projektierung von Bauten verschiedener Industriezweige offerierten. Neben einigen Projekten des Stuttgarter Büros Phillip Jakob Manz ist hier die Arbeit von Heinrich Zieger, der zuerst in Zittau in der Lausitz seinen Sitz hatte, und auch die Arbeiten des Frankfurter Büros C. T. Steinert, die sich ausschließlich auf Bauten für die Leder verarbeitende Industrie spezialisierte, hervorzuheben.

Das erfolgreichste hiesige Büro wurde 1908 von Bruno Bauer (1880–1980) gegründet. Bereits 1911 siedelte es dann nach Wien um, wo sich damals die zweite Generation österreichisch-ungarischer Fabrikanten, mit Betrieben in der Hauptstadt und in weiteren Industriezentren der Monarchie, traf. Die Bedeutung von Bruno Bauer und seine Bauten in Wien und Niederösterreich entgingen auch nicht der kunsthistorischen (Renate Wagner-Rieger), der topografischen (Ute Georgeacopol-Winischhofer) und der biografischen (Inge Schiedl) Literatur. Der größte Teil seiner Arbeit befindet sich jedoch in den Böhmischen Ländern. Das Archiv des Projektierungsbüros Bauer ist aber mit größter Wahrscheinlichkeit nicht erhalten geblieben, die Dokumentationen der einzelnen Bauten sind über die betreffenden Bau- und Betriebsarchive verstreut. Viele wurden in österreichischen und deutschen Ingenieur-Zeitschriften publiziert und fanden ihren Weg in technische Hand- und Lehrbücher. Er selbst hat erwähnt, dass er bis 1930 an mehr als 380 Projekten gearbeitet hat. Bisher wurden jedoch nur 75 seiner Bauten und Industrieareale zuverlässig identifiziert, von denen 14 bereits nicht mehr existieren.

Bauer verwendete die Skelettbauweise bei einer ganzen Reihe von Gebäudetypen: originell entworfenen Hochbauten entwarf er für die Woll-Fabriken in Brünn, im schlesischen Jägerndorf sowie im nordböhmischen Kralice, Shedbauten wiederum für die Textilwerke in Brněnec oder auch die Vorhangweberei in Sankt Pölten, Hallenrahmkonstruktionen für die Maschinenwerke im nordböhmischen Tannwald oder dem steirischen Weiz. Für das österreichisch-ungarische Kriegs-Ministerium projektierte Bauer in den Jahren 1915-1916 eine Serie von strategisch wichtigen Betrieben, die stickstoffhaltige Stoffe für die Munitionsherstellung (Kunstsalpeterfabriken) produzierten, von denen baulich-authentisch nur eine Anlage im heutigen Mosonmagyárovár erhalten ist. Dort nutzte man Plasma-Technologie zur Stickstoffgewinnung aus der Luft. Ein ähnlich komplexes Werk von Bauer für die Textilindustrie war die heute nur noch teil‑ weise erhaltene Textilfabrik der Berliner Aktiengesellschaft Deutsche Wollwaren-Manufaktur, erbaut in den Jahren 1923-1924, im niederschlesischen Grünberg. Eine typische Tätigkeit von Bauer in der Nachkriegszeit war die Neuorganisation von bestehenden Arealen und ihre Ergänzung um neue Bauten. Diese sollten die bisher auf mehrere Gebäude oder Betriebe verteilte Vorbereitungs- und Finalisierungsprozesse der Herstellung konzentrieren –Beispiele dafür sind authentisch erhaltene Etagenbauwerke in Brünn und Červený Kostelec. Teil dieser Modernisierungsinvestitionen waren auch Färbereibauten, in denen Bauer ab 1912 spezielle, zweifache Entnebelungsdächer aus Stahlbeton entwickelte.

Er fand neue Wege für die räumlichen Anordnung und vor allem die Art und Weise der Armierung von Eisenbetonkonstruktionen. Dabei entwickelte der das Konzept der steifen, selbsttragenden Bewehrung seines Lehrers Josef Melan und dessen älterem Schüler Friedrich Ignaz Emperger (1862–1942) weiter, der in den Jahren 1902–1908 die „Hohle Gußeisensäule mit einem Mantel aus umschnürtem Beton“ entwickelte. Diese nutzte praktisch erstmals 1913 eben Bauer bei der Konstruktion der Werke in Meidling bei Wien für die schwedische Firma Ericsson. In den zwanziger Jahren verwendete Bauer dann Bewehrungsskelette für Eisenbetonbauten, bei denen vorgefertigte Säulenkerne aus Gusseisen verbunden mit einer Betonschale mit einer steifen Stahlumwicklung die Hauptlast des Gebäudes tragen. Die Träger sind dann in eine montiert verbundene selbsttragende Verschalung aus perforierten Blechen (die wiederum als Versteifung dienen) gegossen.

Gleichzeitig widmete sich Bauer politischen und berufsständigen Aktivitäten: er unterstützte den Gedanken einer Vereinigung europäischer Staaten von Richard Coudenhove-Kalergi. 1925 gründete er den österreichischen Ableger der Fédération Internationale des Ingénieurs-Conseils – FIDIC und in den Jahren 1931 bis 1934 war er Präsident der Ingenieur-Kammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland. Bereits 1914 hielt Bauer in Wien die Vorlesung „Das Problem des Industriebaus“, die nicht nur eine Proklamation an den Beruf des Industriearchitekten war, sondern auch eine Reaktion auf die Kölner Ausstellung des Werkbundes und dessen Jahrbuch aus den vorhergehenden Jahren – und damit ein Beitrag zur Diskussion um die Beziehung von Ingenieurwesen und Architektur. Währendessen Peter Behrens und Walter Gropius theoretisch und vor allem praktisch an die Praxis der Veredelung des Ingenieurbaus durch den Architekten anknüpften, entwickelte Hermann Muthesius seine Verteidigung der schöpferischen Fähigkeiten von Ingenieuren weiter, die zur Kunst und Technik vereinen‑ den Sachlichen Architektur führte. Es ist verständlich, dass sich Bauer auf die Seite von Muthesius stellte – ebenso wie er empfand er den Architekten als vielseitig „im guten al‑ ten Sinne“ von Leonard da Vinci, versuchte die Einheit aller Baukunst durchzusetzen und verwarf die Stilarchitektur, jedoch nicht die klassischen formellen Regeln. Er setzte so die empirische Linie des in der Praxis verankerten, architektonischen Denkens fort. Mitchel Schwarzer verfolgt diese in der von Schinkel begonnenen deutschsprachigen Architekturtheorie sowie in der Tektonik-Theorie von Karl Bötticher, und bezeichnet diese als realistisch. Ein verwandtes Konzept formuliert gleichzeitig Kenneth Frampton, der Perrault an den Beginn seiner „Tectonic culture“ stellt. Wenn Bauer einen Industriebau als „Stein und Eisen gewordenes Betriebsdiagramm“ definiert, dann bedeuten „Stein und Eisen“ hier Verbindung mit dieser empirischen, tek‑ tonischen Tradition. Der Entwurf auf der Grundlage des „Betriebsdiagramms“ (routing diagram) sind die fortgeschrittenste, wissenschaftlich begründete Methode der Projektierung, die Bauer auf eine originelle Art und Weise entwickelte. Der Entwurfspraxis und den theoretischen Ansichten europäischer Projektierungsbüros von Industriebauten sollte in der Zukunft noch Aufmerksamkeit gewidmet werden. Man kann jedoch davon ausgehen, dass sie sich vor allem durch Methoden der Teamarbeit entwickelten. Bruno Bauer, der als Autor Entwürfe und Lösungen für den Betriebsablauf, die Konstruktion und Architektur seiner Industriebauten verantwortete, war allerdings offenbar der letzte Schaffende seiner Art.

Zusammenfassung übersetzt von Susanne Spurná

 

 

Dieses Buch ist eine Publikation des Projekts: Industriearchitektur. Das Industriedenkmal als technisch-architektonisches Werk und als Identität eines Ortes – gefördert im Rahmen des Programms Angewandte Forschung und Entwicklung nationaler und kultureller Identität des Kulturministeriums der Tschechischen Republik – NAKI II (DG16P02H001)

 

Lukáš Beran, Bruno Bauer und Industriearchitektur in den böhmischen Ländern, Prag 2016.

128 Seiten; tschechisch/englische und deutsche Zusammenfassung; 133 Abbildungen; ISBN 978-80-01-05992-0 / Autor Lukáš Beran / Ortsregister Irena Lehkoživová / Korrekturen Hana Hlušičková / Rezension Pavel Halík, Petr Urlich / Übersetzung Robin Cassling, Susanne Spurná / Grafik Jan Forejt / Satz Formall / Druck PBtisk / Das Forschungszentrum für das Industrielle Erbe 2016

 

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